«Angst habe ich nie, aber Respekt»

Laura Rings ist Herzchirurgin am Stadtspital Zürich Triemli. Als Frau ist sie in ihrem Fach eine Ausnahme. Im Interview erzählt die junge Assistenzärztin, weshalb sie das Herz fasziniert und wie sie mit schwierigen Situationen im und ausserhalb des Operationssaals umgeht.

Aktualisiert am 30. Januar 2024
Laura Rings

Frau Dr. Rings, was war Ihr letzter Eingriff?
Dr. Laura Rings: Ich assistierte dem Chefarzt bei der Reoperation eines biologischen Aortenklappenersatzes. Dann musste ich gemeinsam mit einem Thoraxchirurgen noch einen Hämatothorax, also einen alten Bluterguss bei der Lunge, ausräumen.

Sind dies Routineeingriffe?
Das ist eher etwas Spezielles. Gerade auf eine Reoperation muss man sich gut vorbereiten und diese im Team nochmals genau besprechen. Man geht in ein Gebiet, das schon mal operiert wurde und vernarbt ist.

Sie haben eine implantierte Herzklappe durch eine neue ersetzt. Wann ist dies nötig?
Das kann mehrere Gründe haben. In diesem Fall war es eine biologische Herzklappe, die aufgrund der beschränkten Haltedauer ersetzt werden musste. Wir besprachen im Herzteam, ob es sich lohnt, schon eine Klappe per Katheter einzusetzen. Oder ob man den Patienten nochmals operieren kann.

Wie lange dauerte die Operation?
Sie dauerte knapp drei Stunden. Das ist für uns eher eine kurze Operation. Durchschnittlich operieren wir vier Stunden. In einem Notfall oder wenn etwas nicht nach Plan läuft, kann man auch mal acht Stunden im Operationssaal stehen, ganz selten sogar noch länger.

Wie muss man sich Ihren Spitalalltag vorstellen?
Mein Tag beginnt hier um sieben Uhr. Ich verschaffe mir einen Überblick und schaue, wo ich eingeteilt bin, auf der Station oder im Operationsaal. Um halb acht haben wir unsere Frühbesprechung im Team und dann geht es los. Die meiste Zeit bin ich daraufhin im Operationssaal. Kleinere Eingriffe wie Herzschrittmacher führe ich selbständig durch, bei grösseren Operationen Teilschritte. Nach der Nachmittagsbesprechung gehen wir auf die Intensivstation und am Ende des Tages spreche ich mit den Patientinnen und Patienten, die am nächsten Tag operiert werden. Dann geht es nach Hause.

Was operieren Sie am häufigsten?
An erster Stelle steht die Bypass-Operation, dann vor allem Herzklappen.

Wie bereiten Sie sich auf eine längere Operation vor?
Die Struktur der Operation erstellen wir im Operationsteam. Wir machen uns einen genauen Plan, damit wir dies im Kopf schon einmal durchgespielt haben. Ich bereite mich als Assistentin nochmals persönlich vor, schaue mir das Krankheitsbild an, überlege mir, was wäre wenn und wie wäre der Ausweg. Gut schlafen und gut Essen ist auch wichtig.

Sind Sie vor einer solchen Operation angespannt?
Angst habe ich nie, aber Respekt vor dem, was ich tue. Wenn ich mich vor der Operation einwasche und desinfiziere, ist dies mein Moment, das sind die Minuten, wo ich alles nochmals durchgehe, wo ich ruhig bin. Anschliessend gehe ich mit einem sicheren Gefühl in den Saal.

Wie behält man die Nerven, wenn es während der Operation besorgniserregend wird?
Man muss ruhig bleiben. Und man muss weiter atmen, nur dann bekommt das Gehirn genug Sauerstoff. Wenn man aufhört zu atmen, hört man auf zu denken.

Ist einem die Ruhe gegeben oder ist das ein Lernprozess?
Das muss man auf jeden Fall lernen. Deshalb wird man nicht gleich ins kalte Wasser geworfen, wenn man in der Chirurgie anfängt. Ich habe viel beobachtet und mir angeschaut, wie die leitenden Ärzte oder Chefärzte mit solchen Situationen umgehen.

Gibt es auch Momente, die Sie emotional belasten?
Wenn etwas nicht gut geht, beschäftigt mich dies natürlich. Mir hilft es, den kritischen Fall nachher nochmals auch interdisziplinär zu besprechen, um vor Augen zu führen, was anders hätte laufen können.

Was ist besonders belastend?
Fälle, in denen der Patient oder die Patientin schon sehr krank ist und weiss, dass es sich um eine Risikooperation mit einer Chance von 50 Prozent handelt, und die Person es dann doch nicht schafft. Das finde ich enorm schade. Zum Glück ist dies sehr selten.

Denken Sie, seit Sie Herzchirurgin sind, anders über das Leben und den Tod nach?
Wir sind in unserem Fach dem Tod sehr viel näher, denn wenn etwas nicht gut läuft, bedeutet das ernste Komplikationen. Deshalb weiss ich meine Gesundheit und die der Menschen um mich herum mehr zu schätzen als früher.

Erinnern Sie sich an Ihren allerersten Eingriff am Herzen? Wie war der?
Aufregend! Solange man nur assistiert, steht man an der linken Seite des Patienten. Auf einmal stand ich an der rechten Seite. Das war ein gutes Gefühl.

Was mussten Sie tun?
Ich nähte einen Bypass an. Während der Operation konzentrierte ich mich voll auf die Stiche und Stichabstände. Als wir danach zur Qualitätskontrolle den Blutfluss im Bypass massen und ich das Blutgeräusch hörte, war ich sehr erleichtert. Der Bypass funktionierte prima.

Was muss man als Herzchirurgin besonders gut können?
Ruhe bewahren, sich konzentrieren, Ausdauer haben, denn man weiss nie, wie lange der Eingriff dauert. Und diese Struktur. Man muss unglaublich strukturiert vorgehen.

Was bedeutet das?
Man hat die Operation im Kopf bereits durchgeplant. Ich weiss genau, ich mache Schritt A, dann Schritt B, dann Schritt C. Wenn Schritt C nicht so funktioniert, wie ich möchte, brauche ich Schritt C1 oder C2, damit ich wieder zu Schritt D komme. An dieser Struktur kann ich mich entlanghangeln. Diese gibt mir dann auch die Ruhe, weil ich mich auf die Eventualitäten eingestellt habe.

Was hat Sie dazu bewogen, Herzchirurgin zu werden?
Ich wollte schon während des Medizinstudiums Chirurgin werden, weil ich etwas mit den Händen machen muss. Als ich dann ein schlagendes Herz gesehen habe, wusste ich, dass es das ist. Jedes Mal, wenn ich ein schlagendes Herz sehe, bin ich aufs Neue fasziniert. Wie viel Kraft dieses Organ hat, das ist etwas ganz, ganz Besonderes.

Die Herzchirurgie ist noch heute ein Bereich, der von gestandenen Herren dominiert wird. Gibt es eine Erklärung dafür?
In der Chirurgie muss man sehr viel Präsenz zeigen und auch körperliche Ausdauer haben. In der Herzchirurgie muss man zusätzlich, weil man am Brustkorb arbeitet, Kraft mitbringen. Deswegen gibt es wohl eher wenig Frauen in diesem Fach.

Merken Sie, dass Sie als Herzchirurgin eine Ausnahme sind?
Ja, definitiv. Ich werde von Patientinnen und Patienten des Öfteren mit der Frage konfrontiert: «Haben Sie das schon mal gemacht?» oder: «Können Sie das schon?». Einmal sagte mir ein Patient, er möchte von einem Mann operiert werden.

Und unter Ihren Kolleg*innen?
Mein Chef unterstützt mich voll. Ich bin hier komplett gleichberechtigt, ich muss die gleiche Leistung erbringen, aber werde auch gleich belohnt. Anders ist es auf externen Fortbildungen und Kongressen. Dort muss ich dafür kämpfen, dass ich als Ärztin wahrgenommen werde. Weltweit sind in der Herzchirurgie über 95 Prozent Männer tätig. Man nimmt mich nicht auf den ersten Blick als Mitglied dieser Gruppe wahr.

Wie gehen Sie damit um?
Ich habe durch meine Arbeit und Erfahrung die Gabe, ruhig zu bleiben. Im Moment kann ich sowieso nicht viel ändern. Mein Ziel ist es aber weiterzumachen, es gut zu machen und anderen Frauen eine Stütze zu sein.

Immer mehr Eingriffe am Herzen können heute minimalinvasiv ausgeführt werden, brauchen also keine Operation. Was bedeutet dies für Ihre Zukunft als Herzchirurgin?
Früher war für all unsere Operationen die Eröffnung des Brustkorbes nötig. Das ist der Zugang, den man in der Herzchirurgie als erstes lernt. Meine Ausbildung beinhaltet schon heute die neuen, hochspezialisierten Zugänge, die feinen Schnitte und die Instrumente, die man dazu braucht. Ich sehe dies als positiv an. Die Eingriffe werden dadurch kürzer, wir können mehr Patientinnen und Patienten behandeln und diese sind danach fitter.

Ihre Zukunft wird also stärker durch die invasive Kardiologie geprägt?
Die Herzchirurgie als solche wird nicht aussterben. Aber Entscheidungen werden wohl immer öfter in einem Herzteam zusammen mit den Kardiologinnen und Kardiologen gefällt. Auch das nehme ich als etwas sehr Positives auf.

Interview, im November 2021